Warum Menschen plötzlich zu Strategen, Sammlern oder Turmbauern werden

Derzeit verbringe ich die letzten Ferientage in einem 5-Sterne-Familienhotel in Kroatien.
Dass Familienurlaub nicht zwingend viel Erholung bietet, ist selbstredend. Deshalb buchen wir - wenn möglich - Familienhotels, in denen es ein bisschen Programm und Betreuung gibt.
Denn der Urlaub soll nicht nur ein Tapetenwechsel sein und man darf als Eltern im Urlaub auch mal durchschnaufen.
Finde ich …
Was ich jedoch immer wieder bei der Buchung verdränge, ist der Kriegsschauplatz, den nicht nur Familienhotels hergeben.
Die wahre Schlacht spielt sich hier nicht im Spa ab. Ebenso werden nicht frühmorgens die "besten" Plätze am Pool mit einem Handtuch reserviert.
Ich meine den leicht unscheinbaren Kriegsschauplatz, der sich "Buffet" nennt.
Jeden Abend um Punkt 18:00 Uhr ertönt der inoffizielle Startschuss. Oder der Fliegerangriffsalarm?
Dieser wird von der sich bereits ab 17:30 Uhr bildenden Schlange vor dem Speisesaal auf keinen Fall verpasst.
Sobald sich die Türen zum Speisesaal öffnen, verwandelt sich das noble 5-Sterne-Hotel in ein Schlachtfeld.
Und das erinnert mich manchmal an auch an meinen Hauptjob - Caterings.
Aber dazu später mehr.
Frontlinie: Buffet
Das Buffet ist die Schützengrabenlinie.
Wer zu spät antritt, riskiert es, zu verhungern.
Zumindest glauben das viele.
Die Türmebauer marschieren schwer bewaffnet mit riesigen Tellern nach vorne. Zwei bis drei auf jedem Arm, entwickeln sie ungeahnte Balancier-Talente. Sie laden auf, was das Geschütz hergibt: Kartoffeln als Fundament, Pasta als Zement, Fleisch und Fisch als Panzerplatten. Und weil oben noch Luft ist, thront ein Berg aus Salatblättern, der immerhin so tut, als wäre das Ganze "gesund".
Schon Paracelsus wusste "Die Dosis macht das Gift".
Aber egal.
Der teuer bezahlte Urlaub will schließlich refinanziert werden.
Daneben stehen die Schüchternen. Sie zittern in der zweiten Reihe, lassen sich überholen, werden weggeschubst, wagen nur einen halben Löffel Kartoffelsalat und sind froh, wenn ihnen nicht jemand den Teller aus der Hand reißt. Zurück an ihrem zugewiesenen Tisch - meist einer den kein anderer haben will - schnaufen sie erstmal tief durch. Die magere Beute ist jetzt in Sicherheit.
Spezialtruppen: Kinder am Schokobrunnen

Die härteste Einheit sind Kinder.
Und die gibt es in Familienhotels logischerweise zu Hauf.
Sie sind Fluch und Segen zugleich.
Segen, weil die eigenen Kinder schnell Spielpartner finden und man nicht direkt peinlich berührt ist, wenn die eigenen Kinder mal wieder quer durchs Hotel plärren.
Fluch, weil es eben auch Kinder sind, die einem die Erholung strittig machen wollen.
Am Buffet kennen sie keine Gnade. Sie ignorieren das Vorlegebesteck komplett und ergrapschen sich, was sie wollen.
Sie stürmen den Schokobrunnen mit bloßen Händen und schöpfen, was die kleinen Hände so hergeben.
Hygieneregeln? Ein Fremdwort.
Hier wird die ganze Hand in die braune Lava getaucht, dann abgeschleckt und direkt wieder eingetaucht.
So wird aus dem Schokobrunnen ein Biotop.
Hauptsache es schmeckt.
Guerilla-Taktik: Hamstern im Untergrund
Während die Türmebauer offen auftreten, agieren die Hamsterer im Untergrund.
Sie wickeln Brötchen, Käse und Kuchenstücke in Papierservietten und stopfen sie in übergroße Handtaschen (oder Strandtaschen).
Alles wird gesichert für den Mitternachtssnack. Für den Ausflug. Für den Pizzahunger um 2 Uhr nachts.
Manchmal wird sogar das letzte Glas Cola in einem Pappbecher rausgeschmuggelt, als ginge es um die letzte Ration im Feldlager.
Der Nahkampf am Buffet
Ja, hier wird geschubst.
Leicht, aber bestimmt.
Regelmäßig greift eine fremde Hand über die Schulter, reißt sich noch schnell die letzten Garnelen vom Chafing Dish.
Gelegentlich sprintet jemand im Vollsprint an den Tisch, hechtet zurück zum Buffet, bevor es offiziell schließt. Als hinge das eigene Überleben davon ab.
Das Schlimmste aber: Das, was vorne in Ekstase eingepackt oder aufgetürmt wird, landet oft manchmal auf dem Hotelflur.
Halb verdaut.
Als stilles Mahnmal, dass Völlerei selten ein gutes Ende nimmt.
Kontrastprogramm oder doch dasselbe? Hochzeiten, Geburtstage & Firmenfeiern
Während ich hier im Familienhotel zwischen Türmebauern und Hamsterern sitze, denke ich automatisch an die letzten knapp 10 Jahre meines Catering-Daseins und überlege, ob es dort ähnlich ungesittet abgeht.
Im Großen und Ganzen werde ich für Hochzeiten, Firmenfeiern und Geburtstage gebucht. Beginnen wir mal mit den Geburtstagen.
Bei Geburtstagen herrscht meistens Ruhe. Also nicht Ruhe im Sinne von Langeweile, sondern Ruhe beim Essen. In der Regel wird im überschaubaren Kreis gefeiert.
Alle kennen sich, man behält das Feld im Blick. Es besteht kein Grund zur Panik - höchstens mal ein kleiner Sprint der Kinder zum Dessert.
Firmenfeiern laufen bis zu einem gewissen Zeitpunkt noch disziplinierter ab. Da wird ordentlich angestanden, fast wie beim Zapfenstreich. Klar, ab einer gewissen Dauer (verbunden mit einem gewissen Pegel) erfindet jemand noch schnell einen "Kollegen", für den er Essen mitnimmt.
Aber es bleibt in der Regel alles im Rahmen. Niemand kämpft hier mit Ellenbogen um die letzten Brötchen.

Und dann gibt es Hochzeiten.
Lange Zeit war das Buffet bzw. das Essen generell von einer gewissen Würde geprägt. Ein leises Raunen, wenn die Schüsseln hereingetragen wurden, ein erwartungsvolles, aber geduldiges Anstellen.
Vor allem aber gab es den Ehrenkodex: Das Brautpaar zuerst.
In letzter Zeit aber merke ich, auch hier wird das Ganze manchmal zum gierigen Essen fassen.
Kaum eröffnet, stürmen die ersten Gäste los, während das Brautpaar nach dem Gruppenfoto noch nicht einmal Platz genommen hat.
Als hätte jemand den letzten Gong geschlagen.
Es gibt zwar noch keine Schubsereien und keine Schoko-Hände. Zumindest habe ich sie nie gesehen.
Aber die Tendenz ist da.
Es gibt definitiv die Turmbauten zu Babel. Bereits bei den Vorspeisen. Vermutlich wird in allem Eifer vergessen, dass noch ein paar Gänge folgen.
Vielleicht ein Zeichen, dass der Urinstinkt "Hauptsache satt" eben überall durchbricht - egal ob 5-Sterne-Hotel oder Hochzeitssaal.
Letztens sagte ich mit einem Grinsen im Gesicht zu einem Hochzeitsgast: "Und jetzt ist Krieg“, als dieser kurz nach dem Abdecken der Salate bereits den Bedienlöffel schwungvoll in der Schüssel versenkte.
Gegen Ende der Saison konnte ich es mir einfach nicht verkneifen.
Ich wusste nicht wirklich, welche Reaktion ich darauf erwartet hätte.
Aber für ihn war das definitiv kein Spaß. Er antwortete fest entschlossen: "Richtig, jetzt ist Krieg!"
Danach schaufelte er eifrig sein Tomate-Mozzarella-Fundament weiter.
Welcher Buffet-Krieger bin ich denn nun?
Ja … wer sich weit aus dem Fenster lehnt, der sollte doch den Anstand haben, auch etwas über sich selbst preiszugeben.
Das mach ich doch nur allzu gern.
Grundsätzlich finde ich es schade, wenn (gutes) Essen nicht gewürdigt wird.
Ich schwinge nicht die Moralkeule, dass man auf anderen Flecken der Erde froh über dies und jenes wäre. Diesen Gedanken hat ohnehin niemand auf dem Schirm, wenn er daraus keine Geschäftsidee machen kann, ihn zu PR-Zwecken nutzt oder die Augen mal wieder größer sind als der Verstand.
Mit nicht gewürdigt meine ich, dass sich die Menschen, die die Speisen zubereiten - und dazu zähle ich selbstverständlich auch - Mühe dabei gegeben und viel Zeit investiert haben. Das fängt bereits bei der Erarbeitung eines Rezepts an und hört nicht bei der stetigen Perfektionierung dessen auf. Diese materialisierte Energie wird dann in Windeseile gehortet und verschlungen, als wäre es selbstverständlich.
Mit Genießen hat das leider wenig zu tun. Und das ist das, was mich an der Sache ein bisschen ärgert. Nur ein bisschen, denn schließlich verdiene ich "damit" mein Geld.
Natürlich fühle ich mich wohler und auch innerlich zufriedener, wenn alles gesittet abläuft, das Essen super ankommt und es keine langen Gesichter gibt, weil nicht jeder alles probieren konnte, was er gerne probieren wollte. Ein harmonisches Essen, bei dem keiner zu kurz kommt, macht nicht nur mir mehr Spaß, sondern auch den Gästen.
Und genauso verhalte ich mich auch, falls es ein Buffet gibt, bei dem ich Gast bin. Egal, ob im Urlaub oder bei einer privaten Feier. Ich bin weder Hamsterer, noch Türmebauer. Ich stelle mich lieber mehrmals an, wenn es schmeckt. Und wenn mich etwas gar nicht anturnt, dann esse ich nur meine Anstands-Probierportion, damit niemand beleidigt ist.
Nun genieße ich noch die letzten Sonnenstrahlen, denn bei uns ists ja schon Herbst.
Doch zum Abschluss noch ein paar Tipps, damit deine Feier nicht im Kreuzfeuer endet.
In die Tiefe gehen kann ich leider nicht - es ist 17:50 Uhr und meine Tochter hat sich gerade schwarze Streifen unter ihre Augen gemalt.
Tipps, damit deine Feier nicht zum Kriegsschauplatz verkommt

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Buffet mit Bedacht aufbauen:
Stelle Vorspeisen und Hauptgerichte so zusammen, dass niemand schon beim ersten Teller satt ist (oder satt werden kann) -
Tellergröße steuern:
Kleinere Teller verhindern Wolkenkratzer-Bauten. Wer Hunger hat, darf ja nachholen. -
Klare Reihenfolge schaffen:
Am besten das Brautpaar oder Geburtstagskind zuerst, dann alle anderen. Das bringt Struktur und ein bisschen Würde zurück. -
Dessert gezielt "öffnen":
Erst wenn der Hauptgang läuft, Dessert freigeben. Spart Schokohände und Chaos. -
Locker bleiben:
Der wichtigste Tipp. Jeder wird satt. Und wer unbedingt einen Turm bauen will – einfach ein Jenga-Spiel oder Kapla-Steine in die Kinderecke stellen